Tuesday, July 26, 2011

„Ein Fundament schaffen ...“ – Angelika Kirchschlager im Gespräch über Mozart, Meisterkurse und „Allegro con moto"




Bild: Nikolaus Karlinsky
Angelika Kirchschlager
Bild: Nikolaus Karlinsky
Angelika Kirchschlager ist eine der am meisten gefeierten Mezzosopranistinnen unserer Zeit. In Salzburg geboren und in Wien ausgebildet, ist sie heute weltweit auf den bedeutendsten Opernbühnen zuhause, gerngesehener Gast bei den großen Orchestern und auch als Lied-Interpretin hochgeschätzt. Vom 11. bis 14. September 2011 wird sie einen Meisterkurs für die Sängerinnen und Sänger des Ensembles der Sommer Oper Bamberg geben. Ein kleines Gespräch vorab.

Sommer Oper Bamberg: Sehr geehrte Frau Kammersängerin, es freut uns sehr, dass Sie sich trotz eines immens vollen Terminkalenders die Zeit für den Meisterkurs der SOB nehmen werden.

Angelika Kirchschlager: Vielen Dank, ich freue mich auch sehr darüber. Ich habe gerade mit den Bamberger Symphonikern geprobt und dabei festgestellt, wie schön die Stadt doch ist. Umso mehr freue ich mich, dass ich noch einmal hierher kommen darf.

SOB Woran werden Sie mit den jungen Sängerinnen und Sängern arbeiten? Was erwartet die Teilnehmer Ihres Meisterkurses?

„Ich ermutige die Sänger immer, authentisch zu sein, eine sehr persönliche Rollengestaltung zu finden, und keine anderen berühmten Sänger zu kopieren ... ”A.K. Ich unterrichte mittlerweile seit drei Jahren, und dabei hat sich herausgestellt, wie wichtig es ist, ausführlich an den Rezitativen zu arbeiten. Ich habe mit großer Freude sieben Jahre lang mit Riccardo Muti jeden Sommer eine Da Ponte/Mozart-Oper einstudiert. Alle drei, die es gibt. Und auch Muti hat fast ausschließlich an den Rezitativen gearbeitet. Die Arien sind dann einfach so durchgelaufen, aber die Rezitative waren wirklich harte Arbeit. Darauf werde ich also ein ganz besonderes Augenmerk legen. Die meisten Kursteilnehmer glauben zunächst, das sei langweilig, aber aus Erfahrung kann ich sagen, dass das wirklich viel Spaß machen wird. Die Rollengestaltung bei Mozart geschieht ja hauptsächlich durch die Rezitative, die Handlung wird nur durch sie vorangetrieben. Ich ermutige die Sänger immer, authentisch zu sein, eine sehr persönliche Rollengestaltung zu finden, und keine anderen berühmten Sänger zu kopieren; sondern ganz bei sich zu bleiben und ihre Kraft aus sich selbst zu holen. Auch das ist überaus spannend. Ich ermutige sie immer, mutig zu sein, nicht zu angepasst, sondern individuell, ihren eigenen Weg zu finden.

SOB
Sie unterrichten, wie Sie eben sagten, seit drei Jahren. Haben Ihnen Kurse wie dieser, bei dem ein erfahrener Künstler sein Wissen an den Nachwuchs weitergibt, in Ihrer eigenen künstlerischen Entwicklung geholfen, und möchten Sie das weitergeben?

„Mir macht Unterrichten wahnsinnig viel Spaß!”A.K. Ich merke, wie schnell die Zeit vergeht, denn ich sehe mich manchmal noch immer als Studentin von Walter Berry in Wien. Bei ihm habe ich Lied- und Oratoriengesang studiert. Er hat mich zu vielen Dingen ermutigt, war geduldig und hat mich darin bestärkt, dass ich meinen Weg finden werde, wenn ich alles so mache, wie ich es für richtig halte. Diese Erfahrung, die mir selber durch meinen Lehrer zuteil wurde, gebe ich auf jeden Fall weiter. Mein Unterricht beschränkt sich momentan auf Workshops und Meisterkurse; ich unterrichte nur dort, wo ich glaube, dass ich etwas zu sagen habe [lacht]. Ich bin jetzt seit zwanzig Jahren als Sängerin unterwegs, und obwohl man ja nie auslernt, stelle ich erstaunt fest, dass sich doch einiges an Erfahrung angesammelt hat. Es gibt also einiges, was ich zu sagen habe. Und mir macht Unterrichten wahnsinnig viel Spaß!

SOB Eine bessere Voraussetzung für den Kurs kann man sich gar nicht wünschen. Doch was kann man allgemein als Sänger lernen, und was muss man mitbringen?

A.K. Man muss zum Beispiel lernen, wie man Rezitative wirklich singt, denn das bringt niemand mit. Das ist wirklich Knochenarbeit, das ist Handwerk. Man kann Phrasieren lernen, verschiedene Tricks, man kann und muss selbstverständlich singen lernen. Das ist bei jedem anders. Es gibt natürlich die absoluten Naturbegabungen, die sich einfach auf die Bühne stellen und mit ihrer Persönlichkeit und Sangesfreude überzeugen. Dann gibt es andere, die zwar wahnsinnig tolle Stimmen haben, aber sich etwas schwerer damit tun, sich auf der Bühne zu präsentieren. Und genau dort setze ich dann an: Wenn man ihnen die Angst nimmt und Zuversicht gibt, dann können sich auch etwas scheuere Sänger öffnen – und dabei etwas über sich selbst erfahren. Nach meinen Beobachtungen kann man das, was man in diesen Interpretationsstunden gelernt hat, auch für sein eigenes Leben mitnehmen. Das sind ganz tolle Erfahrungen.

SOB Sie werden bei Ihrem Bamberger Meisterkurs an den Rezitativen aus ‚Le nozze di Figaro‘ arbeiten, der Oper, die im Anschluss einstudiert wird. Was halten Sie von dieser Kombination: Meisterkurs und Opernproduktion?

„Ich versuche, ein Fundament zu schaffen, das dann in Zukunft ausstrahlt.”A.K. Das ist eine phantastische Idee, sie gibt dem Ganzen noch einen „Kick“. Doch das, was ich in diesen drei oder vier Tagen vermittle, kann ja nicht nur ausschließlich auf den ‚Figaro‘ angewendet werden. Die jungen Sänger sollen das ja auch mitnehmen. Ich versuche immer, Dinge zu sagen, die auch auf andere Opern anwendbar sind, aber auch auf Lieder, auf das Singen im Allgemeinen. Ich sage ihnen nicht, wie sie die Susanna bei der und der Note singen müssen; mein Ansatz ist grundsätzlicher, ich versuche, weiter in die Tiefe zu gehen, ein Fundament zu schaffen, das dann in Zukunft ausstrahlt.

SOB Sie selbst haben Ihre Karriere ja auch mit Mozart begonnen. Was für eine Beziehung haben Sie zu seinen Opern?

„Ich singe sie jetzt schon so viele Jahre und lerne doch immer noch etwas über diese Opern. Je mehr Einblick ich bekomme, umso sprachloser werde ich eigentlich.”A.K. Für mich gehören Mozarts Opern, vor allem aber die drei Da Ponte-Opern [‚Le nozze di Figaro‘, ‚Cosi fan tutte‘ und ‚Don Giovanni‘], zum Besten, was je kreiert wurde. Text, Musik, Psychologie – alles greift dort in atemberaubender Weise ineinander. Es sind Psycho-Sozialstudien von Menschen, die sich in diesen drei Geschichten finden. Es ist beeindruckend, wie Mozart das Libretto von Da Ponte ausleuchtet und die Protagonisten musikalisch miteinander verwebt ... Ich singe sie jetzt schon so viele Jahre und lerne doch immer noch etwas über diese Opern. Je mehr Einblick ich bekomme, umso sprachloser werde ich eigentlich. Es ist unfassbar ...
Cherubino war übrigens meine allererste Opernpartie, die ich in einer Hochschulproduktion im kleinen Schönbrunner Schlosstheater in Wien gesungen habe. Das kommt mir fast wie ein anderes Leben vor, seither ist so viel passiert. Die Rolle singe ich ja auch nicht mehr, irgendwann muss Schluss sein. Aber gerade mit dem ‚Figaro‘ verbinde ich einiges, ich könnte ganze Bücher mit Anekdoten füllen. Man könnte fast ein bissl sentimental werden ... [lacht].

SOB Auf welche anderen Projekte freuen Sie sich denn im Moment besonders?

A.K. Ich habe einen sehr spannenden Sommer vor mir, ich werde in Südamerika singen, bei vielen schönen Festivals. Ich war im Juni in Aldeburgh, bei Benjamin Brittens Festival, in Schwarzenberg bei der Schubertiade, in bin in Bregenz, Verbier und Edinbourgh ... alles Projekte, auf die ich mich irrsinnig freue. Ich singe auch nur Dinge, die mir selbst viel Spaß machen. Das ist der Vorteil, wenn man schon einige Jahre dabei ist: Man kann es sich irgendwann ein wenig bequemer machen und nur noch das singen, was relativ stressfrei ist und trotzdem wunderschön. Worauf ich mich besonders freue, ist die „Mahagonny“-Produktion an der Wiener Staatsoper. Dann bin ich zu Liederabenden mit Jean-Yves Thibaudet in Amerika. Und in Südamerika war ich auch noch nie ... Ich kann mich gar nicht so richtig entscheiden ...

SOB
Zum Abschluss würde ich mich freuen, wenn ich Ihnen unseren kleinen Fragebogen vorlegen dürfte, den die Ensemblemitglieder bereits beantwortet haben.

A.K. Sehr gerne.

(Noch) ein paar Fragen an Angelika Kirchschlager ...

Wenn ich nicht Sängerin geworden wäre, wäre ich heute … Goldschmiedin oder Buchbinderin.

Als ich zum ersten Mal auf einer Bühne stand, … war das im Kinderchor von Carmen, da war ich zehn.

Ein Leben ohne Musik wäre … eigentlich nicht wirklich denkbar.

Wenn ich eine Zeitreise unternehmen könnte, würde ich ... wahrscheinlich ins Mittelalter reisen, aber nicht sehr lange. Nach einer Stunde hätte ich wohl schon genug. Aber das würde mich wirklich interessieren ...

Meine Lieblingsfigur aus einer Mozart-Oper (nicht als Gesangspartie, sondern als Charakter)? Vielleicht die Gräfin, aus ‚Figaros Hochzeit‘, oder Idomeneo. Wegen ihrer Menschlichkeit. Die Gräfin wegen ihrer Geduld, ihrer großen Liebe, wegen ihrer Leidensfähigkeit, ihrer Vergebung und Großzügigkeit. Und Idomeneo wegen seiner Schwäche.

Wenn ich ein Orchesterinstrument spielte, wäre es ... das Violoncello, einfach wegen seines Klangs. Weil es meinem Stimmklang entgegenkommt, weil es im wahrsten Sinne eine Saite in mir zum Schwingen bringt.

In zehn Jahren möchte ich … nur mehr zu Hause bleiben [lacht]. Ja, das können Sie schreiben: In zehn Jahren Österreich nicht mehr verlassen müssen, wenn ich nicht will.

Welche Tempobezeichnung entspricht am ehesten meinem Temperament? [Überlegt ...] Allegro, das ist schon mal sicher ... con ... [lacht], ich wollte gerade sagen „vivace“, aber das ist dann zu schnell ... „con moto“ oder „ma non troppo“.


SOB Frau Kirchschlager, vielen herzlichen Dank für das Gespräch. Wir freuen uns sehr, Sie im September in Bamberg begrüßen zu dürfen.

Das Gespräch führte Maximilian Rauscher.


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