Monday, March 21, 2011

„Lesen, ganz viel lesen!“ Die Flötistin Claire Genewein im Gespräch

Mozarts „Le nozze di Figaro“ steht diesmal auf dem Programm der Sommer Oper Bamberg. Um den Stil der Zeit und die spezifischen Besonderheiten der Musik des späten 18. Jahrhunderts noch besser kennenzulernen, beginnt die Orchesterprobenphase für die jungen Musikerinnen und Musiker mit einem mehrtägigen Workshop zu historischer Aufführungspraxis. Eine der Dozentinnen: die Traversflötistin Claire Gennewein aus Zürich.

Nach ihrem Studium der Querflöte in Salzburg und dem Konzertdiplom bei Philippe Racine in Zürich spezialisierte sie sich mit einem Diplom in Alter Musik an der Schola Cantorum Basiliensis mit dem Hauptfach Traversflöte und ergänzte es durch einen Master am Royal Conservatorium in Den Haag bei Barthold Kuijken. Claire Genewein arbeitet als freischaffende Flötistin in Ensembles wie La Cetra, Venice Baroque Orchestra, L’Arcadia, Ensemble Miroir und Neue Hofkapelle München. Sie spielte unter der Leitung von Gustav Leonhardt, Andrea Marcon, Jordi Savall, Geoffrey Lancaster, William Christie u.a. Seit Herbst 2006 lehrt sie an der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz Traversflöte und historische Aufführungspraxis.

Sommer Oper Bamberg Frau Gennewein, Sie werden als Dozentin den Holzbläser die historische Aufführungspraxis näherbringen. Geht das überhaupt in drei Tagen?

Claire Gennewein Das ist natürlich nicht sehr viel. Aber ich glaube, es geht dabei vor allem darum, dass man heute als Musiker viele verschiedene „Sprachen“ und ihre Grammatiken kennen muss. Man kann sich Mozarts Musik-Sprache natürlich viel sinnvoller nähern, wenn man das von der Renaissance, dem Barock, der Frühklassik aus macht, als wenn man von der Moderne zurückblickt.
Es ist unsere Aufgabe als Dozentinnen, den Musikern zu zeigen, wie man damals „gesprochen“ hat – und wie nicht. Im modernen Musikstudium geht das leider oft unter, weil man gezwungen ist, am gleichen Tag Schostakowitsch, Mozart und Bach zu spielen. Das wichtige ist, diese verschiedenen Sprachen zu kennen und zu unterscheiden. Das fängt bei den Verzierungen an, bei der Bedeutung eines Legatobogens – das ist in der Romantik eben völlig anders als im Barock oder in der Klassik. Und dann natürlich der Klang der Bläser, er ist schlanker als heute, aber das kann man auch auf modernen Instrumenten bewerkstelligen, wenn man nicht so dick spielt, ohne Vibrato … Auch eine moderne Flöte klingt ohne Vibrato gut, das hört man ja auch zunehmend bei Orchestern. Ich glaube, das kann man in drei Tagen schon sehr gut zeigen.

SOB Ist die historische Aufführungspraxis, die vor 20 Jahren noch eine Spezialdisziplin oder – aus der Sicht mancher Musiker – sogar eine etwas abseitige Disziplin gewesen ist, inzwischen "Mainstream" geworden? Wirkt sie sich auf die Spielkultur aus?

„Harnoncourt haben wir sehr viel zu verdanken; er hatte eine ganz andere Klangvision ... ”C.G. Ich denke schon. In der Alten Musik dominiert sie schon fast den Markt. Als Musiker muss man heute anders ausgebildet werden. Es ist meine Vision, dass das, was Nikolaus Harnoncourt damals an der Oper Zürich eingeläutet hat – er hat an einem "normalen" Opernhaus erst einmal mit historischen Blechbläsern angefangen –, sich überall durchsetzt, so wie jetzt auch bei der Sommer Oper Bamberg. Und gerade haben wir in Zürich "Le nozze di Figaro" mit einem Orchester gespielt, das komplett auf historischen Instrumenten musizierte. Für die Bläser holt man sich zwar externe Unterstützung, aber in Zürich klappt das schon ganz toll. Darin liegt die Zukunft der Orchestermusiker. Harnoncourt haben wir sehr viel zu verdanken; er hatte eine andere Klangvision und hat das einfach gefordert, auch an einem "normalen" Opernhaus. An der Oper Zürich hat er auch schon damals Workshops veranstaltet, in denen sich die Musiker weiterbilden mussten. Wenn man da heute Schumann oder Schubert hört, dann klingt das einfach anders, weil diese Musiker historisch gebildet sind. In der Wissenschaft gehört das schon immer dazu, und die Musik war ja im Mittelalter noch ein Teil davon, als eine der sieben freien Künste. Ich finde, man muss als Musiker selber denken und forschen dürfen.

SOB Sie arbeiten ja auch gerade an einer Doktorarbeit …

C.G. Ja, ich forsche gerade über Baldassare Galuppi und den vokalen Einfluss auf die Instrumentalmusik in Italien. Da habe ich etwas ganz Spannendes entdeckt, in einem Text aus Rom von 1780, also genau zu Mozarts Zeit. Darin wird den Instrumentalmusikern empfohlen, sich einen Text zu suchen, der zu ihrem Musikstück passt, und es damit zu unterlegen. Sie sollten es zunächst singen, dann erst spielen. Ein ganz interessantes Lernkonzept …

SOB Wie sind sie selbst zur historisch informierten Aufführungspraxis gekommen?

„Zur alten Musik bin ich eigentlich sogar wegen Karlheinz Stockhausen gekommen.”C.G.Eine Schlüsselstelle war für mich die Schola Cantorum Basiliensis. Als ich dort studierte, fand ich es unglaublich befreiend, dass der Lehrer nicht gesagt hat, „so geht’s“, sondern „es könnte so sein, sieh mal da nach, lies mal da“. Es war ein breit angelegtes Suchen nach den Musiksprachen, die man damals gesprochen hat, in Tagebüchern und in Quellen. Auch mit Hilfe von anderen Instrumenten; jeder Instrumentalist ist sonst oft auf seinen Bereich fixiert. Ich habe mich sehr mit Gesang beschäftigt, mit Rezitativen. Das weitete den Horizont unglaublich.

Zur alten Musik bin ich eigentlich sogar wegen Karlheinz Stockhausen gekommen. Ich habe damals sehr viel Stockhausen gespielt und auch mit ihm gearbeitet. Und dabei gemerkt: Obwohl bei ihm alles notiert ist, ist es immer noch so anders, wenn man ihn selber erlebt. Das musste ja mit der Alten Musik auch so sein. Genau diesen Weg wollte ich dann auch einschlagen und so nah wie möglich auch an die Komponisten herankommen, die man nicht mehr einfach anrufen kann. Aber man kann lesen, ganz viel lesen. Und während meiner Zugfahrten zwischen Linz und Zürich habe ich dazu auch immer wieder genug Zeit.

SOB Dann freuen wir uns auf einen spannenden Workshop und auf einen Mozart mit ganz neuem Bewusstsein. Herzlichen Dank für das Gespräch!


Bewerbungsschluss für Musikerinnen und Musiker ist der 22. April 2011.
Weitere Informationen hier.


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